Ich bin auf meinen Onlinerecherchen schon mehrfach über dieses Forum gestolpert. Jetzt notiere ich euch meine Geschichte und persönlichen Erfahrungen mit dieser Krankheit.
Ich bin anfang Zwanzig, männlich und seit etwa fünf Jahren mit Herpes Genitalis infiziert. Das ist bitter, denn das ist bei einer meiner ersten sexuellen Erfahrungen passiert, und seitdem ist nichts mehr los. Man lebt also im erzwungenen Zölibat mittlerweile in Studentenkreisen, von denen ja allgemein bekannt ist, dass ein hemmungsloses Ausleben der eigenen Sexualität das Maß der Dinge ist. Nicht dass ich unbedingt daran teilhaben wollte, aber dennoch. Wenn die eigenen Kommilitonen ständig ihr funktionierendes Sexleben vor einem ausbreiten... Eine gewisse Verbitterung macht sich breit. Und Sex ohne das Gegenüber in Kenntnis zu setzen wäre das Letzte. One Night Stands sind daher (trotz Gelegenheiten) für mich kein Thema. Wahrscheinlich ist es auch der Hauptgrund warum ich mich mittlerweile in einem Freundeskreis nerdiger sexueller Vollversager befinde. Nicht böse gemeint, denn ich bin ja selber einer, so gesehen.
Ich habe meine Diagnose vor etwas mehr als einem Jahr bekommen, vorher wusste ich es aber im Prinzip auch schon. Das war allerdings nie ein allzu großes Thema, da ich damals selten Ausbrüche hatte, starke Schmerzen habe ich außerdem sowieso nie. Nur dieses subtile Jucken. Sexualität war sowieso keine wichtige Sache für mich. Mit diesen unauffälligen Ausbrüchen alle paar Monate war also zu leben. Allerdings hatte ich damals auch noch nicht den Hauch einer Ahnung von dem sozialen Stigma das mit der Krankheit einhergeht...
Vor etwa eineinhalb Jahren begannen die Ausbrüche sich zu häufen. Ärgerlich, denn wie ihr sicher wisst, klammert man sich mitunter an die Vorstellung dass die Rezidive mit den Jahren weniger werden. Ich habe das Thema dann bei einer Routineuntersuchung bei meiner Hautärztin angesprochen, sie hat mir dann eine Dreißigerpackung Aciclovir 400 verschrieben und die Aciclovirsalbe (dazu später), und betont dass ich von Glück sprechen kann da viele ihrer Patienten weitaus schlimmere Ausbrüche hätten. Fällt mir allerdings schwer, diesen Irrglauben anzunehmen, von Glück sprechen können die zwei von drei Infizierten die keine Symptome kennen. Oder fünf von sechs oder wie auch immer. Ich hatte dann ein Jahr lang so gelebt, mit der Salbe und 'ner Pille ab und an, die habe ich relativ bald jedoch weggelassen, brachten ja nichts.
Ein Jahr später, also vor drei Monaten, ein erneuter Arzttermin, mittlerweile hatte ich sozusagen durchgehende Beschwerden. Das hat sich vielleicht schlimm angefühlt, wozu überhaupt noch das Haus verlassen, wenn jeder einzelne Sekunde deine Gedanken darum kreisen dass du nichts anderes mehr bist als ein Wirt, zwischen all den unbefangenen Menschen und deren Easy Life. Seit dem eben erwähnten Termin nehme ich täglich dreimal Aciclovir, durchgehend. Das kostet etwa sieben Euro im Monat, und das Nervigste daran ist, alle drei Wochen ein Rezept abzuholen und der attraktiven Apothekenverkäuferin gegenüberzustehen, im Sinne von 'Hallo, ich bin unheilbar geschlechtskrank'. Wie nett die immer alle lächeln. Ich habe zwar nach wie vor fast durchgehend so kleine sichtbare Outbreaks, die ich aber kaum spüre.
Nun zu meinen Behandlungsversuchen:
-Teebaumöl Vor der Diagnose hatte ich das mal ausprobiert. Bringt nichts.
-L-Lysin Habe eine Weile drei Gramm L-Lysin täglich geschluckt, das bekanntlich die Virusvermehrung hemmen und das Immunsystem stärken soll. Hat bei mir nichts gebracht. Außerdem sehr unbequem, dreimal am Tag zwei fette Pillen zu schlucken.
-Verzicht auf Alkohol Ich verzichte immer mal wieder für eine Weile komplett auf Alkohol und andere Genussgifte. Es macht bei mir scheinbar keinen besonderen Unterschied, auch wenn der Herpes häufig am stärksten auftritt nach stärkerem Alkoholgenuss.
Aciclovir Salbe -Habe ich vor 'nem Jahr etwa auf Anraten meiner Ärztin eine Weile benutzt, dadurch wird zumindest das unangenehme Kribbeln akut besser.
Aciclovir 400 Nun zum schulmedizinischen Lieblingsmittel: Viele von euch haben sicher wie ich eine ambivalente Beziehung zu diesem Mittelchen. Mein Fazit vorab, ein antiquiertes Medikament, das Umstände macht, für viele schlecht verträglich ist, eine miserable Bioverfügbarkeit aufweist (10-20%) und kaum wirksam ist, weder bei einem Ausbruch noch präventiv. Ich kann die Menschen sehr gut verstehen die auf Aciclovir pfeifen und die blöde Seuche stattdessen einfach versuchen bestmöglich zu ignorieren. Mir ist es so allerdings noch etwas lieber, da es gegen das Kribbeln, Jucken oder Brennen hilft und ich so auch mal ein paar Stunden nicht dran zu denken brauche. Es heißt ja auch dass Aciclovir bei ständiger Einnahme ins virale Erbgut eingebaut wird und so helfen kann langfristig die Zahl der Ausbrüche zu reduzieren. Wer weiß. Ansonsten: Lieber mal vierzig Jahre lang ein mit einem miesen Medikament die Leute melken. Mag auch sein dass es bei anderen Leuten besser wirkt. Hat nicht jeder so 'nen renitenten Herpes wie ich.
-Kokosöl Ich habe erst vor kurzem den Tipp mit dem Kokosöl aufgeschnappt. Bei Beschwerden trage ich es ab und an mal auf, das finde ich ganz hilfreich. Allerdings auch immer viel Geschmiere.
Hat von euch jemand Erfahrnungen mit dem Verzicht auf Koffein? Ich habe irgendwo gelesen dass das auch eine Rolle spielen soll.
Weitere Aspekte:
Ich halte es für möglich dass ich in den letzen Jahren ein mieses Immunsystem gehabt habe wegen meiner Weisheitszähne, die dort im Unterkiefer festhängen. Die werden demnächst 'rausoperiert, ich werden dann irgendwann mal ein Update posten ob sich etwas geändert hat.
Was wurmt mich denn sonst noch?
Ganz ärgerlich finde ich die mangelnde Aufklärung. In der schulischen Sexualaufklärung ist Aids ein Riesenthema, während STDs wie diese doch ein viel realeres Problem für die Kids sind. HIV ist trotz aller nötiger Aufklärung im Vergleich eher ein Randgruppenphänomen.
Ich habe auch keine Ahnung wie das jemals mit der familiären Zukunft laufen soll. Ich bin so oder so eher zurückhaltend. Die Option eines Lebens als Eremit und Hanf-Opa ist noch nicht vom Tisch. Bohnen und Kartoffeln pflanzen ist sowieso ganz nice. Die soziale Isolation, die man sich zum Teil natürlich aus Unsicherheit auch selbst konstruiert, ist schon eine harte Nuss.
Ich bin wahnsinnig happy wenn man mir beim Friseur die Haare wäscht wegen der körperlichen Zuneigung. Das klingt verzweifelt, haha. Ist es ja auch.
Ihr armen Leute da draußen die ihr grad eure Diagnose bekommen habt und keinen Schimmer habt wie das zu verkraften ist, wenn ihr das hier jetzt lest, i'm feeling with you. Ich wünschte ich könnte euch jetzt mein Geheimrezept präsentieren mental mit diesem Problem fertigzuwerden. Leider habe ich das noch nicht gefunden. Ich denke aber es ist auf jeden Fall schon einmal hilfreich wenn man sowieso keinen allzu großen Wert darauf legt auf einen Lebensstil wie alle anderen ihn haben. Und ein persönlicher Rat, sucht euch eine Aufgabe. Irgendeine Art von Selbstverwirklichung die sich nicht mit eurer Sexualität überschneidet. Sei es Musizieren oder Malen oder Gärtnern oder Sport. Was mich angeht, am liebsten würde ich das Teil zurzeit einfach abschrauben und wegschmeißen und ein voll und ganz asexuelles Dasein fristen. Das würde viele Dinge einfacher machen. Geht natürlich nicht ohne Weiteres. Und nicht vergessen, es gibt einige vielversprechende Forschungsansätze die unsereinem das Leben mittel-bis längerfristig angenehmer gestalten könnten, wenn nicht sogar eine Heilung unterwegs ist. Pritelivir als Medikament und die Forschungen von Dr. Bryan Cullen an der Duke University wirken sehr vielversprechend. Look it up! Jetzt bin ich einigermaßen durch mit meinen Gedanken. Es ist etwas ausführlicher geworden als ich gedacht hätte. Ist aber auch hilfreich, das mal alles auszuformulieren. Wenn man von meiner Ärztin absieht, habe ich noch nie mit jemandem darüber gesprochen.
echt sympathisch! Irgendwie gibst Du mir gerade ein gutes Gefühl! Ich futtere seit ca. einer Woche Aciclovir und versuche es nicht zu einem Ausbruch kommen zu lassen. Bisher klappts, aber es kribbelt und macht und tut und das nervt jetzt langsam! Es ist einfach mal wieder schön zu lesen, dass man nicht alleine ist mit diesem "nervigen Untermieter"! [In meinem Kopf hab ich noch ganz andere Ausdrücke dafür]. Kaum zu glauben dass ich den Virus auch schon ca. 3 Jahre mit mir herum schleppe - oder schon viel länger, wer weiß!
Faszinierend finde ich auch, dass Du so abstinent lebst! Gezwungenermaßen tue ich das gerade auch, aber ich wünsche mir definitiv irgendwann wieder etwas männliches in meinem Bett!
Okay, Zeit für's nächste Bonbon.... und das mit dem Kokosöl probiere ich jetzt vll. auch ENDLICH mal aus!
Schön dass du hier bist!
Sonnige Grüße!
[i] [b] ~ Menschen mit Sinn für Schönheit, mit Liebe und Offenheit im Herzen und Ehrlichkeit gegenüber sich selbst sind attraktiv für andere! ~